Nickelnkulk Braunschweig

Nickelnkulk – was für ein eigenartiger Name! Hört sich irgendwie nach einer Figur der Augsburger Puppenkiste an... Und damit liegen wir gar nicht mal so falsch, denn von einem Fabelwesen soll sich dieser Name ableiten. Es war eine reine Fachwerkhausstraße im Norden Braunschweigs. Abgehend von der Kaiserstraße verlief sie als Sackgasse. Eine kurze Verbindung zur Wendenstraße stellte eine Brücke über den Okerumflutgraben dar, der Geiershagen. Die Bomben des 2. Weltkriegs ließen hier kein Haus stehen, im Mai 1945 gab es nur die berüchtigte verbrannte Erde. Nach dem Krieg wurde die Straße nicht mehr bebaut und 1985 hob der Rat der Stadt Braunschweig den Namen auf.  Die erste Erwähnung findet der Nickelnkulk 1304 und 1312 als Nickerkulk. Nicker oder Necker bezeichnet einen Wassergeist oder Tümpelhocker. Die Gegend ist der tiefste Punkt in Braunschweig, etwa einen Meter unter dem Okerpegel. Hier kam es im Frühjahr des Öfteren zu stärkeren Überschwemmungen. Wahrscheinlich ist, dass auch Sumpf- oder Wasserlöcher dort anzutreffen waren, denn „Kulk“ bedeutet Wasserloch beziehungsweise feuchte Stelle.

Eine der ärmsten Gegenden Braunschweigs

Der Nickelnkulk war eine der ärmsten Gegenden Braunschweigs, bewohnt von kleinen Handwerkern, Arbeitern, vielen Kindern und Erwerbslosen. Unsere Schwarz-Weiß-Ansichten zeigen die windschiefen, maroden alten Häuser. Eine eher unheimliche Gegend, durch welche man nachts nicht alleine gehen mochte. Dazu passt ein Spottvers der Zeit:
Murenstrate, Klint und Werder,  davor hüte sich ein jeder. Nickelnkulk is och nich beter, denn da wohn’n die Messerstäker. Lange Strate ach nicht minder, denn da wohnen viele Kinder! Heute würde man sagen: ein sozialer Brennpunkt. Die Kunst des Messerstechens erfährt in Deutschland zur Zeit leider eine ungewollte Renaissance. Gleichwohl gab es dort auch Firmen und Handelsgeschäfte wie zum Beispiel die Fabrik wollener Decken aller Arten W. Schorse, Nickelnkulk 23. Hier bekam man Arbeiter-Schlafdecken und Pferdedecken. Gemäß Anzeige konnten diese sowohl für das Pferd als auch für den Arbeiter gebraucht werden. Vier Qualitäten standen zur Auswahl: leicht, mittel, schwer und extraschwer. Grau- und braunmeliert mit bunten Kanten, die größten 1,60 mal 2,10 Meter. Preislich lag das Ganze zwischen 2,40 und 7,60 Mark, wobei man 1900 für 12 Pfennig einen halben Liter Bier bekam. Heute gibt es für Pferde ein ganzes Arsenal an Decken: Fliegendecke, Abschwitzdecke, Weidedecke, Winterdecke, Longierdecke, Ausreit- und Nierendecke. Auch für Pferde hat die Hightech-Zeit begonnen. Mir kommen bei solchen Erkenntnissen immer die kleinen Schoßhunde in den Sinn, die bei etwas kälterem Wetter sozusagen mit Wintermantel und Fußschühchen durch die Botanik laufen, wenn sie dies denn noch können.  Auch bei den Menschendecken hat heute die Vielfalt Einzug gehalten. Die Hülle der zu füllenden Decken ist ja meist noch aus Baumwolle, aber dann kommt es: Die Füllware kann aus Schafschurwolle, Kamelhaar, Kaschmir, Baumwolle, Pappelflaum (Samenfäden der Pappelfrüchte), Wildseide, Faserkügelchen, Vlies oder die seit langem bekannten Daunen und Federn sein. Wussten Sie übrigens, dass Gänse besonders viel Profit versprechen, wenn man sie lebend rupft? Dies geschieht meist nicht nur einmal (wegen Profit), sondern bis zu sechszehnmal. Wenn die Gans dann so halb besinnungslos nach dem Rupfen auf dem Boden liegt und ihre Schmerzen aushält, denkt sie bestimmt: Euch sollte man teeren und federn mit den meinen. Darum: viel Bedacht beim Bettdeckenkauf! Neben dem Lebendrupf gibt es auch den Totrupf – hört sich nicht so gut an, ist aber genauso warm und erspart Tierleid. Auch in der armen Gegend des Nickelnkulk gab es eine Besonderheit: Erwähnte Familie Schorse hatte ihr Grundstück Nickelnkulk 23 seit über 200 Jahren im Eigentum und damit nach Aussage des Historikers Heinrich Meier so lange wie zu der Zeit keine andere Familie ihre Immobilie in Braunschweig. Neben der, wie auf der Ansicht von 1898 zu sehenden Überschwemmungen in Braunschweig und hier des Mühlengrabens im Juli 1898 hinter dem Nickelnkulk, ist auch ein Hochwasser in Ohrum in diesem Jahr erwähnt. Damals stand die Fährmühle, trotz des Öffnens aller Wehre und Schleusen, fast 1 Meter unter Wasser. Bei der Katastrophe war auch ein Todesopfer zu beklagen.
Ein Bauer, unterwegs auf der Straße zwischen Ohrum und der Mühle, wurde mit seinem Ackerwagen von der Straße gespült.

um 1919 – Nickelnkulk – Blickrichtung Bosselgraben/Inselwall.
2018 – Der Bau der Lebenshilfe ist jetzt dort, wo früher die Straße Nickelnkulk abzweigte.

Überschwemmungen und Hochwasser

Überschwemmungen sind für Braunschweig und die Region keine neue Erfahrung. Eine erwähnte Hochwasserkatastrophe im Kreis ereignete sich vor 250 Jahren, als die Innerste bei Baddeckenstedt über die Ufer trat. Die „heimgesuchten“ Baddeckenstedter, deren Wiesen „fünf bis sechs Fuß hoch“ (1,50 m–1,80 m) überschwemmt waren, verfassten am 29. Juli einen Bittbrief an den Bischof von Hildesheim, in dem sie sich weniger darüber beschwerten, dass „das Wasser durch die Häuser fließe“, sondern vielmehr auf die Folgen hinwiesen. Nach Zurückweichen des Wassers hätten die Gräser nicht mehr als Futtermittel dienen können, da „der giftige Schlamm dem Viehe die Brust zuziehe, und dasselbe davon crepiere“. Ob und wie geholfen wurde ist mir nicht bekannt. Hermann Ahrens hat 1994 einen Aufsatz mit dem Titel „Über die Hochwasser der letzten hundert Jahre in unserer Region“ geschrieben. Seine These lautet: Künstliche Eingriffe des Menschen in die Natur (zum Beispiel Flussumleitungen beim Bau der Eisenbahn Braunschweig-Harzburg 1841) sowie natürliche geografische Gegebenheiten (der Höhenunterschied ist in einigen Bereichen nicht sehr hoch) begünstigen Überschwemmungen im Bereich der Oker.  Die betroffenen Hochwassergebiete in unserer Region sind immer die gleichen. Die Gründe für das Hochwasser waren – damals wie heute – starke Regenfälle, im Frühjahr auch verstärkt durch Schneeschmelze. Der Erklärungsversuch für Überschwemmungen in der Zeit des „Kalten Krieges“ (1947–89) lautete: die Atombombenversuche der Amerikaner und Russen. Und so werden wir wohl auch in Zukunft mit dem Hochwasser leben müssen. Motto: Die Natur lässt sich vom Menschen nicht beherrschen.

Dieser Artikel ist ein Teil der Magazinreihe „Damals & heute“, herausgegeben von FUNKE Medien Niedersachsen GmbH. Text von Dirk Teckentrup – Ihr Immobilienmakler Braunschweig.

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